Gundel Steigenberger
ESSAY - Ein Erzählung über die Sauna
Das Gegenteil von kalt –
eine Erzählung über die Sauna
sauna raha
Herr Castrein, der mich mit allen finnländischen Gebräuchen bekannt zu machen wünschte, fragte mich unter andern auch, ob ich mich wohl je nach der Sitte des Landes gebadet hätte? Und da ich ihm mit Nein antwortete, so that er mir den Vorschlag, mit ihm in Gesellschaft zu baden, um die Sitten und Gebräuche der Eingeborenen in diesem Stücke aus eigener Erfahrung kennen zu lernen. Es wurden daher die Steine in seinem kleinen Badezimmerchen gehörig geheizt, und da alles bereit war, kam ein junges Mädchen von achtzehn Jahren, das die Aufwartung darin hatte, um es uns zu melden.
Sobald wir in das Bad hineingetreten waren, zog uns das Mädchen vorerst nackt aus, und dann fing es an, wie gewöhnlich, Wasser auf die Steine zu gießen; auch reichte es uns ein Becken mit kaltem Wasser und einige Birkenzweige, um uns damit zu peitschen. Ich war aber mit dem Gefühl eines Fremden hineingekommen, und wurde daher durch das Seltsame dieser neuen Lage beinahe aus der Fassung gesetzt; ich stengte jedoch alle meine Kräfte an, um mich in einem schicklichen Zustande zu erhalten, sah unverwandt auf meinen Gefährten hin, und sucht so viel möglich seine exemplarische Gleichgültigkeit nachzuahmen.
Die Hitze der Dämpfe stieg nach und nach bis auf 50 Grad nach Celsius. Anfänglich fühlte ich die heftigsten Beklemmungen, und hätte die Hitze schnell zugenommen, so wäre ich, glaube ich, so nackt wie war, aus dem Bade wieder herausgelaufen; ich gab mir aber alle Mühe, es darin auszuhalten, und wurde auch allmählich immer besser daran gewöhnt, so daß ich nach einiger Zeit eine Hitze von 65 Grad ertragen konnte. Bei diesem Stande des Thermometers verursachte es eine außerordentlich angenehme Empfindung, wenn man sich kaltes Wasser auf den Kopf goß, und es über den erhitzen Körper wieder herunter laufen ließ.
Beinahe das nämtiche fühlte man, wenn man die Birkenzweige, an denen noch die Blätter befindlich waren, in das Becken mit kaltem Wasser tauchte, und dann mit denselben auf den Körper klatschte. Nachdem wir ungefähr eine halbe Stunde in dem Bade gewesen waren, so ließ ich, um das bei dieser Gelegeheit gewöhnliche Verfahren nicht zuerst an mir vornehmen zu lassen, meinen Freund Castrein den Anfang damit machen; dieser unterwarf sich auch ohne Anstand dem sonderbaren Prozeß, und ich gab nun auf alles genau Achtung, um wenigstens, wenn die Reihe an mich käme, zu wissen, wie ich mich dabei zu benehmen hätte. Zuerst stellte ihm das Mädchen einen kleinen Schemel hin, worauf er sitzen mußte; dann goß es ihm kaltes Wasser über den Kopf, preßte seine Haare wieder aus, wusch ihm den gnazen Körper mit Wasser und Seiefe, und rieb ihn von oben her bis an den Gürtel hinab.
Hierauf fing es auch an den Füßen an, und rieb sie ihm bis an das oberste der Schenkel hinauf, besonders aber die Gelenkte und Knöchel und die Sehne Achillis. Dieser ganzen Operazion sah ich aufmerksam und mit der größten Verwunderung zu; was mich aber freilich am meisten Erstaunen setzte, war die vollkommene Apathie, womit der Prediger dieses lange, so äußerst auf die Sinne wirkende, und sie in einem so außerordentlichen Grade anreizende Verfahren mit sich vornehmen ließ.
Als es vollendet war, und nun auch ich mich demselben unterwerfen mußte, so befand ich mich in einem Zustande, der mich in die äußerste Verlegenheit setzte - Ich war in der That äußerst froh, wie ich meine Kleider wieder anziehen, und das Bad verlassen konnte. Wir machten im beim Hinausgehen dem Mädchen ein Geschenk mit einigen Dreiern; dies ist ein uralter Gebrauch, dem sich Jedermann ohen Unterschied unterwefen muß, und den selbst, wie es auch hier der Fall war, der Herr gegen seine eigene Magd beobachtet. Dieses Geschenk hat ein der finnischen Sprache seinen eigenen Namen, nämlich Sauna raha.
[nach Guiseppe Acerbi, Reise durch Schweden und Finnland 1798 bis 99, S. 262-4]
ich und die sauna
Ich bin aufgeregt, als ich das erste Mal in die Sauna meines Wohnhauses gehe. Mein erster gesellschaftlicher Termin!
Ich betrete einen kühlen, gekachelten Raum, der von einem großen Ofen und drei schmalen Sitzbänken eingenommen wird. Es ist massenhaft Platz für weitere – vor allem breitere – Bänke, aber offenbar will man keine Beklemmungsgefühle auslösen. In der Dusche dasselbe, zwei Duschen und viel Platz für gymnastische Übungen. Das einzige, was fehlt: Ruheliegen.
Nicht, dass es welche bräuchte. Meine einzige Mitsaunagängerin wirft ein wenig Wasser auf den Ofen und ist nach 10 Minuten wieder draußen und kommt auch nicht wieder. Ich bin allein und kann tun und lassen, was ich will. Es ist nicht besonders heiß, ich würde schätzen 60 °C. Es gibt einen Eimer mit Schöpfkelle und ich stelle schnell fest, dass man damit sehr effektiv die Temperatur erhöhen kann. Bis auf unaushaltbar.
Mein deutscher Saunasinn verlangt nach Orangen-Minz-Aufgüssen, aber das kommt in dieser sauberen, minimalistischen Umgebung nicht infrage. Rein, schwitzen, wieder raus. Fertig. Nicht dieses stundenlange Rumgeliege. Das ist was für Leute, die Zeit haben. Der gemeine, arbeitssame Finne entspannt einmal die Woche eine halbe Stunde in der Hitze und geht dann wieder seinem Tagwerk nach.
Auch wenn ich regelmäßig rausgehe und mich kalt abdusche, nach einer Stunde wird es einfach zuviel und ich kehre in die Wohnung zurück, wo ich auf dem Sofa kollabiere. Später finde ich heraus, dass man in den Drogerieabteilungen der Supermärkte (Drogerien gibt es nicht) Aufgussöle kaufen kann, neben den üblichen Verdächtigen wie Eukalyptus und Kiefer gibt es Teer. Ich frage mich, wie das riecht, bis ich einmal eine Mitsaunagängerin erwische, die tatsächlich etwas in das Aufgusswasser getan hat: Es riecht nach verkokeltem Schuppen. Allerdings verschwindet sie sofort, als ich die Sauna betrete. In mir verfestigt sich der Verdacht, dass Aufgüsse was für Touristen und private Feiern sind.
die traditionelle dorfsauna
Um finnische Saunen zu verstehen, muss man wissen, dass sie ursprünglich Häuser waren. Die Wohnhäuser der Finnen bis in 17. Jahrhundert ähnelten mehr dem, was wir heute unter einer finnischen Blocksauna kennen als einem Haus. Fensterlose, viereckige Gebäude mit einem riesigen Ofen und einem Loch in der Decke, durch das regelmäßig der Rauch entlassen wurde (finnisch savupirttirakennus, die rauchfreie Behausung). Die Dinger waren so niedrig, dass man mit dem Kopf in der Rauchschicht stand und weil das auf die Dauer gesundheitsgefährdend ist, entlüftete man sie halt regelmäßig. Aber eigentlich wollte man den Rauch drinbehalten, denn mit dem Rauch blieb die Wärme. Ähnlich werden die heutigen Rauchsaunen betrieben, finnisch savusauna. Zehn Stunden aufheizen, dann Rauch rauslassen, Wärme genießen. Abgesehen davon, dass man vielleicht kein weißes Handtuch mit in eine solche Sauna nehmen sollte, sind sie sehr angenehm und vor allem im Winter sehr beliebt.
Der Unterschiedl ist das löyly, sprich l-ö-j-l-ü, der Dampf, der von den Steinen aufsteigt. Er sollte sanft sein, wohltuend, so dass man sich wie von einem Engel umarmt fühlt. In meiner Wohnblocksauna ist er eher beißend und atemberaubend. Ich finde raus, dass das betriebsbedingt ist. Die Steine des Ofens werden heiß, aber nicht heiß genug, um Dampf zu produzieren, der dann auch wirklich gasförmig bleibt. Stattdessen bilden sich Millionen kleiner Tröpfchen mit wirklich heißem Wasser, das dann auf der Haut brennt (und in den Augen. Und im Mund. Und überall). Abhilfe schafft, lasse ich mir sagen, die russischer Banja, deren Steine aufgrund Konstruktionsunterschieden heißer werden, oder die Savusauna, deren löyly milder ist (vermutlich auch, weil sie heißer ist, Rauchsaunen erreichen bis zu 95 °C). Oder aber man sammelt seine eigenen Saunasteine, die dann besseres löyly produzieren, aber dafür braucht man Erfahrung (im Erkennen von Saunasteinen).
[nach Guiseppe Acerbi, Reise durch Schweden und Finnalnd 1798 bis 99, S. 227-8]
der keusche ort
Unter den sonderbarsten Gebräuchen der Finnländer verdienen jedoch ihre Bäder und die Art, wie sie sich derselben bedienen, besonders bemerkt zu werden. Alle finnländischen Bauern ohne Unterschied haben bei ihren Häusern ein kleines, zu diesem Zwecke besonders errichtetes Gebäude: dieses besteht nur aus einer einzigen kleinen Kammer, in deren Hintergrunde sich ein Ofen von über einander gelegten Steinen befindet, der so lange geheizt wird, bis die Steine ganz glühend geworden sind. Auf diese so durchglüheten Steinen wird nun so lange Wasser gegossen, bis die Anwesenden in eine dicke Wolke von Dampf eingehüllet sind.
Im Hintergrunde ist diese Kammer in zwei Stockwerke abgetheilt, damit eine größere
Anzahl von Personen in diesem engen Raume zu gleicher Zeit Platz haben kann; da nun die Hitze und der Dampf, ihrer Natur nach, in die Höhe steigen, so ist dieses zweite Stockwerk der allerheißeste Ort im Bade. Hier versammeln sich nun Männer und Weiber ohne Unterschied, und baden mit einander gemeinschaftlich, ohne daß sie das geringste Kleidungsstück dabei anbehalten, und ohne daß auch nur die mindeste Regung des Geschlechtstriebes dadurch in ihnen aufwacht.
Wenn hingegen ein Fremder unversehens die Thüre des Bades öffnet und hineintritt, so verursacht sein Anblick den Frauenspersonen keinen geringen Schrecken, denn es fällt, seine eigene Erscheinung nicht einmal gerechnet, durch das Oeffnen der Thür eine solche Menge Licht in die Badstube, daß nicht nur ihre Stellungen, sondern auch alle Formen ihres Körpers dem Auge bloß gestellt werden. Werden sie hingegen durch keinen solchen Zufall gestört, so befinden sie sich die ganze Zeit über, wo nicht in einer gänzlichen Dunkelheit, doch in einer sehr starken Dämmerung; denn die Stube hat kein anderes Fenster, als ein kleines Loch, und es fällt kein anderes Licht in dieselbe, als durch die Ritzen in dem Dache, und durch die zwischen den Holzstämmen, woraus sie erbauet ist, befindlichen Spalten.
Ich habe mir selbst oft den Spaß gemacht, die Badenden auf diese Art zu überraschen, und ein oder zwei Mal habe ich es auch versucht, mich selbst zu ihnen zu gesellen, allein die Hitze war darin so unmäßig groß, dass ich sogleich nicht mehr im Stande war, Athem zu holen, und daß ich wahrscheinlich in der ersten Minute darin erstickt wäre.
nacktsein
Nach einem Jahr regelmäßigen Saunens habe ich einige Bekanntschaften geschlossen, Frauen, mit denen ich außerhalb der Sauna nie gesprochen habe und die ich nur durch wöchentliches zehnminütiges gemeinsames Schwitzen kenne. Die schweigsamen, grummeligen Finnen werden, sobald ihr Hintern eine Saunabank berührt, plötzlich redselig. Außerdem habe ich verlernt, meine Nacktheit zu bemerken. Ich war auch schon in Deutschland regelmäßiger Saunagänger, aber ich wusste immer sehr genau, dass ich entblößt bin und nur die gesellschaftliche Konvention andere davon abhält, mich anzustarren und in meine Privatssphäre einzudringen. Ein fragiles Gebilde.
In Finnland gibt es das so nicht. Wenn Männer und Frauen gemeinsam saunen, ist man grundsätzlich bekleidet. Wenn nicht, spielt es keine Rolle. Man darf sich auch mal angucken, vergleichen, während man übers Kinderkriegen, den besten Frisör oder empfehlenswerte Sportressors redet. Was Männer in der Sauna reden, weiß ich nicht, aber es gibt einen preisgekrönten Film dazu (in dem es auch um das Verarbeiten von Lebenskrisen im schummrigen Dunkel der Sauna geht). Gemeinsames Saunen ist wie gemeinsames Kaffetrinken. Man redet über Gott und die Welt.
stadtsaunen
Mit der Ballung in Städten entwickelt sich die traditionelle Dorfsauna, die abwechselnd immer einer für alle heizte (im Winter einmal pro Woche, im Sommer zweimal), zur öffentlichen Sauna. Sie waren bis in dei 50er Jahre üblich, und es ereilte sie dasselbe Schicksal wie bei uns die öffentlichen Bäder. Im selben Maße, wie die Leute anfingen, ihre eigenen Bäder/Saunen zu haben, gingen sie nicht mehr in die öffentlichen. Die Saunen verkamen zu Sammelstellen für Obdachlose und Betrunkene (und davon gibt es auch heute noch einige, das Herumhängen und Betrunkensein ist in Finnland eine Kunstform) und wurden nach und nach geschlossen.
Öffentliche Saunen erleben in den letzten Jahren eine Renaissance, sie verbinden den Eventcharakter von Saunaausflügen in der Gruppe (etwas, was in Finnland bis heute regelmäßig gemacht wird) mit der Intimität des privaten Saunabesuchs. Aber man darf sich nicht täuschen lassen. Auch wenn sich die Menge der öffentlichen Saunen in Helsinki seit 2016 verdoppelt hat, der Großteil finnischer Saunen ist in die Häuser eingebaut oder steht als einsames Holzhäuschen irgendwo am Strand. Diese Saunen sind praktisch immer privat, einige kann man für Gruppenausflüge mieten (Familienfeiern, Schulanfang, Betriebsausflug), aber die meisten werden von den Finnen selbst benutzt: Saunen ist eine private Feier von der die Touristen nichts mitkriegen.
kotiharju sauna
Im Sommer 2016 kann der Versuchung nicht widerstehen und gehe an einem regnerischen, kalten Junitag in eine der öffentlichen Saunas im Stadtteil Kallio. Die gibt es seit 1928, sie ist in einen der dort üblichen Hochhausblöcke eingebaut, die Männer logieren im Erdgeschoss, und während ich nach oben steige, kann ich einen kurzen Blick in einen bierkellerartigen Raum voller lachender Männer mit Handtüchern um die Hüften und Biergläsern in der Hand werfen. Es ist auch laut, gefühlt die ganze Stadt ist da und unterhält sich prächtig.
Die Frauen haben so einen Raum nicht, sie sitzen dann eben zwischen hölzernen Umkleideschränken aus den 50ern, trinken Bier und werfen die Kronkorken in die dafür vorgesehenen Gläser. Auf dem pastellblauen Schwimmbadboden liegen Teppiche. Der Duschraum ist glänzend neu, auf einer Liege wird eine Besucherin von einer monströs dicken Waschfrau eingeseift (kann man extra mieten).
Die eigentliche Sauna ist dunkel, groß und mäßig warm. Gleich hinter der Tür steht ein viereckiger Ofen, der bis zur vier Meter hohen Decke reicht. Er hat ein Ventil, über das man das Wasser entlassen kann. Danach zischt es ordentlich und der löyly steigt auf. Die Saunabänke sind gemauert und blau gestrichen und amphitheatererartig angeordnet. Steil gehts nach oben, wo auch einige Brettchen liegen, auf die man sich draufsetzen kann. Der deutsche Zwang zum Handtuch ist in Finnland eher unüblich.
Es ist ein Donnerstag Nachmittag, es ist nicht viel los, draußen pfeift der Wind im nahen Mittsommerlicht. Ab und zu kommen Gäste, gehen wieder, vermutlich um sich in der Umkleide abzufüllen und lautstark zu lachen, der Ofen bullert, es ist bald heißer als vermutet, wie so oft in finnischen Saunas, die am Anfang relativ mild wirken. Ich gehe duschen. Danach in eine Handtuch gewickelt, barfuß auf den Platz vor dem Haus, wo auf dem Gehweg Tische stehen und Männer (die eindeutig in der Überzahl sind) herumsitzen und Bier trinken, rauchen und quatschen. Einige Frauen halten sich in Grüppchen abseits. Es riecht nach Rauch, Regen und Frühling. Der Asphalt ist kalt und ich erinnere mich seufzend an Schwimmbecken in deutschen Saunalandschaften, wo man nackt durchs Wasser gleiten kann, nachdem man schön ordentlich geschwitzt hat.
Über mir rauschen die Blätter. Die Atmosphäre ist vage bedrohlich, allein durch die männliche Überzahl und die Ritualattitüde. Ich spüre keine Gefahr, aber so richtig wohl fühle ich mich auch nicht. Aber der Asphalt ist so wahnsinnig kalt an meinen Füßen, dass ich nicht gehen will. Der Rauch riecht angenehm, das Bier sieht man nur. In der Frauensauna ist es mehr wie bei einem Kaffeekränzchen. Dort riecht es nur nach Wurst und leicht nach Muff.
Nach dem nächsten Saunagang sitze ich in der Umkleide und schreibe, das Zischen von Bierdosen ist zu hören. Die Getränke kann man an der Kasse kaufen, die ganze Treppe nach oben steht voller Kästen (auch Saft und Wasser). Ich gehe zurück in die Dusche, in einer Ecke dümpelt Kinderspielzeug und eine Plastikbadewanne vor sich hin. Drei Frauen reiben sich gegenseitig den Rücken ab, die Waschfrau hat Feierabend. Als sie fertig sind, cremen sie sich ein.
Bevor ich gehe, lese ich mir das Besucherbuch durch. Da die Kallioer Saunen in jedem Touristenführer stehen, sind zwei Drittel der Eintragenden Ausländer. Eine nette Reise durch die Perzeption finnischer Saunakultur. Im wesentlichen Begeisterung, durchmischt mit leichter Irritation, weil alles so anders ist, als man erwartet hat. Die Freundlichkeit der Finnen sticht hervor, ebenso die Begeisterung (oder Befremdung, je nach Typ) so ganz ungezwungen nackt beieinander zu sitzen und sich nicht krampfhaft zu ignorieren.
sauna und literatur
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verwandelte sich Helsinki von einem Provinznest in die Hauptstadt Finnlands. Der Zar, der Schweden diesen jahrhundertealten Teil seines Staatsgebiets kurz zuvor abgejagt hat, ließ sich von finnischen Adligen, die eine Erneuerung ihres Landes im Sinn hatten, überreden, die alte Hauptstadt (Turku) ab- und eine neue herzuschaffen: Und praktischerweise war ein Ort am finnischen Meerbusen, der im Grunde nur existierte, um eine Militärfestung zu unterhalten, kurz zuvor abgebrannt, so dass man absolutistisch-imperialistische Träume verwirklichen und die Stadt am Reisbrett planen konnte. So entstanden der Dom und das klassizistische Zentrum Helsinkis.
In den 1840ern erreicht diese neue Kultur dann die russische Oberschicht und Helsinki wurde ein beliebtes Ausflugsziel der Petersburger, die erst mit dem Dampfer, später mit dem Zug kamen (die Verbindung Helsinki-St. Petersburg gibt es immer noch, ein empfehlenswertes Ausflugziel, die Reise durch Ostfinnland & Karelien). Mit den europäischen Architekten und Stadtplanern und den Russen kamen auch eine europäische Badekultur, künstliches Mineralwasser und Kurbehandlungen nach Finnland.
Gleichzeitig fand ein Wandel in der finnischen Gesellschaft statt. Die schwedischsprachige Oberschicht begann sich zu finnisieren, man entdeckte nationale Wurzeln und schließlich auch Finnisch als Sprache. Saunen spielten in der finnischsprachigen Literatur eine wichtige Rolle, besonders wenn es um das (oft idealisierte) Landleben ging (auch wenn es Schriftsteller gab, die das finnische Landleben als das schilderten, was es war, ein endloser Kampf ums Überleben, das bekannteste Beispiel sind die Sieben Brüder von Alexis Kivi, das Nationalepos Nr. 2). Gegen Ende des 19.Jahrhunderts erreichte diese Badekultur dann auch die Oberschicht, Saunen wurden beliebter, und der Mystizismus von Lönnrots Kalevala, die die Sauna als einen Ort der Tugenden und Legenden preist, tat sein übriges.
In Juhani Ahos "Der alte Mann auf der Insel" (1899) geht es um einen Mann, der zum Dank für die Verteibung eines Bären ein Stück Land erhalten hat und dort bescheiden in seiner Sauna lebt, bis er von reichen, jungen Jägern vertrieben wird.
Dieser Dualismus zwischen traditioneller Sauna und moderner Badekultur, zwischen gebildeter, (auch) schwedischsprachiger Oberschicht und ungebildeter finnischsprachiger Landschicht bestand bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Werke des einzigen finnischen Nobelpreisträgers Frans Eemil Sillanpää (1888-1964) zeigen das.
öffentliches saunen heute
Zum Stadtfest im Juni gibt es am Töölönlahti (sprich T-ö-ö-lön-lachti), einer Meeresbucht in der Innenstadt, eine öffentliche Jurtensauna. Nichts wie hin, denke ich mir.
Eine Jurte ist die Umkleide, die andere Sauna. Innendrin eine Reihe Bänke direkt an der Zeltwand, in der Mitte ein Böllerofen mit einem viereckigen Kasten obendrauf, in dem die Saunasteine liegen, zwei rotglühende Rohre führen nach oben, fertig. Der Ofen strahlt brütende Hitze aus, die nur vom löyly gemildert wird, das ständig nachgegossen wird. Die Jurte liegt nicht auf dem Boden auf, unten zieht es, der Kopf glüht. Die Tür geht auf und zu, im Sekundentakt, vorn ist es kühl, hinten brütend. Es ist so voll, dass die Leute in zweiter Reihe im Schlamm um den Ofen stehen. Das glühende Eisen kümmert niemanden, auch nicht, wenn es bei jedem Aufguss grässlig zischt. Der rote Teil wird dann kurzzeitig schwarz.
Finnisch ist die Sprache der Jurten. Die Leute passen so gut hierher, dass ich fast glaube, Finnisch sei nur für Jurtenbesucher erfunden worden. Es ist laut, zwischenzeitlich fast ohrenbetäubend, so viele Menschen sind drin, die sich alle unterhalten. Ich schnappe auch ein paar Fetzen auf Englisch auf, offenbar Touristen. Nur einer trinkt Bier - zumindest hält er eine Dose in der Hand, er hat glatte Haut, einen durchtrainierten Körper und eine neogelbe Badehose – das hier ist ein "striktly non alcoholic event" hat der Stadtführer behauptet.
Es herrscht ein Gentlemankodex. Frauen und Älteren wird Platz gemacht, sie dürfen sich setzen. Das schließt auch Teenager und Jungen mit ein, die sich für die Damen erheben (nach Aufforderung). Ob das Sitzen die bessere Wahl ist, wenn direkt vor dir einer steht, der dich volltropft und die ganze Wärme wegnimmt, bezweifle ich, aber ich habe keine Wahl. Trotz der ungleichmäßigen Hitze schwitzte ich wie verrückt.
Duschen gibts nicht, man springt in den Töölönlahti. Alternativ könnte man sich übergießen, aber ich ziehe das Meer vor. Es ist leicht salzig und eiskalt. Ob mich jemand rauszieht, wenn ich einen Herzinfarkt erleide?
Das Wasser ist voller Algen, die mir um die Beine schwimmen. Brrrr. Schnell wieder raus.
Nachher befinde ich mich wohl, sauber geputzt und blinzle in die grelle 21:00-Sonne, als ich nach Hause gehe.
urlaubsgefühle
Wie kann es sein, dass beim Schrei einer Möwe die Gehirnrezeptoren senden: Entspannung! Wo man doch direkt hinter der Möwe hundert Meter Strand versunken in einer Großbautstelle erblickt?
Helsinki ist ein Moloch, das Reinfahren kostet mich eine Stunde Lebenszeit und fast alle Nerven. Ich erinner mich, dass das vor anderthalb Jahren, als ich das erste Mal hier hergekommen bin, auch schon so war, ich hatte es nur verdrängt. Sie haben vor 200 Jahren begonnen, die Stadt für den Zaren umzubauen, und seitdem nicht wieder aufgehört.
Ich mag Sauna nicht so, weil das ein soziales Event ist und ich habs nicht so mit Leuten, sagt er. Der Mann muss der einzige Finne sein, der ein Haus ohne Sauna hat. Ich versuche ihm klarzumachen, dass der soziale Charakter für Nichtfinnen eindeutig nicht im Vordergrund steht, falls er überhaupt existiert, dass Sauna ein Wellnessevent ist, ein Mein-Körper-mein-Tempel-Moment, im Zweifelsfall noch ein Bodycontest (diesen Teil versteht er), aber Sauna ohne Reden ist für ihn nicht Teil dieser Welt.
Ich habe auch Probleme, mir dieses Nach-der-Hitze-muss-es-aber-so-richtig-kalt-sein abgezugewöhnen und die Unterbrechungen zwischen den Saunagängen irgendwie sinnvoll rumzukriegen, denn Liegen gibt es nicht. Aber da ist ja der Hafen vor meiner Nase, in dem es tuckert und brodelt. Links ein Kohlekraftwerk, geradeaus die Großbaustelle Sörnäinen, zur Rechten die Uferpromenade von Kruununhaka: klassizistische Häuser aus dem späten 19. Jahrhundert. Möwengeschrei, ein sanfter Wind, die Großstadt rauscht. Mann auch aufs Dach klettern, um sich zu sonnen. Ich mag Finnland.
Der Saunageist lebt fort, wann immer der Ofen zischt.
Der löylynhenki, der Saunageist verbindet die Sauna mit dem Jenseits. Der aufsteigende Dampf, die Sauna als Grenzerfahrung. Hier fand alles statt, Geburt, Brautwerbung, Waschung Verstorbener, die Trocknung des Getreides, modern auch Erfolgsfeiern, Verarbeiten von Trauer, Start- oder Endpunkt der Ferien, für den Betriebsausflug oder anlässlich eines Vertragsabschlusses. Finnlands bekanntester Präsident Ukko Kekonen war berühmt dafür, dass er Finnlands Sonderkurs während des kalten Krieges bei den Sowiets mittels regelmäßiger Saunasitzungen durchbrachte (zur finnischen Saunadiplometie).
Der aufsteigende Saunadampf verbindet die Sauna mit dem Jenseits, macht sie zu einem friedlichen und ausgleichenden Ort, wo alle Menschen gleich sind. Durch die Heilung in der Sauna bringt sich der Mensch mit der ganzen Welt in Einklang, das wusste schon der göttliche Held Väinämöinen, als er im finnischen Nationalmythos Kalavala die Sauna heizte und ein Ritual sprach, um die Götter dazu zu bringen, die Menschen von Krankheiten zu heilen. Üblich ist auch die Weihnachtssauna, an Heiligabend war unsere Haussauna offen für alle und ich konnte mich befreien, bevor ich zur Wiedergeburt der Welt schritt.
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